Der Tag war lang, meine Beine taten weh, und ich war richtig müde. Ich war schon den ganzen Tag durch Wälder und über Berge gewandert. Jetzt war es dunkel, der Himmel war schwarz wie Tinte, und ich wollte nur noch eins: zur Hütte auf der anderen Seite vom Fluss.
Ich wusste, sie war dort drüben – ich konnte kleine Lichtpunkte sehen, ganz schwach, wie Glühwürmchen in der Ferne. Aber da war dieser Fluss zwischen mir und der Hütte. Und die Brücke? Die, die auf der Karte eingezeichnet war? Die war einfach nicht da!
Ich stapfte durchs nasse Dickicht, durch Farn und über glitschige Wurzeln, immer dem Fluss entlang. Meine Taschenlampe leuchtete mir den Weg, aber alles war rutschig, kalt und irgendwie unheimlich.
Dann stand ich am Wasser. Die Brücke? Immer noch verschwunden. Aber die Lichter der Hütte wirkten jetzt ganz nah. Nur ein paar Meter Wasser. Ich dachte: Das schaffe ich!
Ich war vorbereitet. Ich hatte vorher gelesen, wie man einen Fluss sicher durchquert. Ich hatte sogar meinen Rucksack so geschnallt, dass ich ihn im Notfall schnell abwerfen konnte. Ich dachte, ich wäre klug. Aber vielleicht war ich ein bisschen zu mutig.
Langsam ging ich ins Wasser.
Brrr! Es war eiskalt. Das Wasser reichte bis zu den Knien, und die Strömung war stärker, als ich gedacht hatte. Ich tastete mich vorsichtig voran …
Dann – ganz plötzlich – passierte es!
Ein Schritt, ein falscher Tritt, ein glatter Stein … und zack!
Der Fluss packte mich wie ein wilder Drache!
Ich wurde mitgerissen. Unter Wasser gedrückt. Ich konnte nicht mehr sehen, wo oben und unten war. Alles rauschte. Alles drehte sich. Ich fühlte, wie ich gegen Steine knallte, herumgewirbelt wurde, wie ein Blatt im Sturm.
Ich wollte atmen – bekam aber nur Wasser.
Ich dachte: Jetzt ist alles aus.
Aber dann erinnerte ich mich:
Ich bin ein guter Schwimmer! Früher war ich sogar Wettkampfschwimmer.
Ich wusste, wie ich ruhig bleiben musste, auch wenn alles um mich herum verrückt spielte. Ich spürte, wie mein Körper sich erinnerte: Mach dich klein, gleite mit dem Wasser, kämpfe nicht dagegen an – arbeite mit dem Strom, nicht gegen ihn.
Ich suchte nach Luftblasen, nach dem kleinsten Auftrieb. Ich tauchte auf – schnappte nach Luft – wurde wieder runtergezogen. Noch mal. Immer wieder. Und ich ließ den schweren Rucksack los. Platsch! Jetzt konnte ich mich besser bewegen.
Ich schwamm. Nicht schön, nicht schnell, aber in die richtige Richtung.
Dann spürte ich etwas unter meinen Füßen. Ein Stein! Ich stemmte mich hoch. Ein Atemzug. Noch ein Schritt. Rutschen. Wieder aufstehen.
Ich war am Ufer!
Ich keuchte, zitterte, war klatschnass – aber ich lebte!
Ich wusste nicht, wie weit mich der Fluss getragen hatte. Aber ich war auf der richtigen Seite.
Langsam kroch ich die Böschung hoch. Mein Rucksack war schwer und tropfte vor Nässe. Ich schleppte mich zur Hütte. Drinnen war es still. Kein Feuer, keine warmen Worte. Die anderen Wanderer schauten nicht mal zu mir rüber. Ich war allein.
Mein Schlafsack: durchweicht.
Mein Essen: eklig kalt.
Mein Kocher: kaputt.
Ich zog mir trockene (na ja, fast trockene) Sachen an, aß ein paar Riegel, zitterte und versuchte zu schlafen. Aber in meinem Kopf war immer wieder dieser Moment im Wasser, dieser Gedanke: Jetzt ist es vorbei.
Am Morgen trat ich nach draußen.
Und da sah ich sie: die Brücke.
Sie war nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der ich gestern ins Wasser gegangen war. Ganz niedrig über dem Fluss. Kaum zu erkennen. Ein Busch hatte das Schild verdeckt.
Ich lachte. Oder weinte. Vielleicht beides.
So nah. Und doch beinahe alles verloren.
Aber ich hatte überlebt.
Und das werde ich nie vergessen.

